Wie Software Ärzte bei der Analyse von Gehirn-Aneurysmen unterstützt
von DI Dr. Wolfgang Fenz
Im Rahmen des Forschungsprojektes ARES wurde eine Software entwickelt, die zerebrale Aneurysmen analysiert und das Rupturrisiko bewertet. Sie kombiniert innovative Technologien wie Geometrie- und Biomechanik-Simulationen und setzt neue Maßstäbe in der medizinischen Diagnostik.
Zerebrale Aneurysmen – Erweiterungen von Arterien im Gehirn – sind ein ernstes medizinisches Problem. Besonders schwierig ist die Beurteilung, ob und wann ein Aneurysma rupturieren, also reißen könnte, was lebensbedrohliche Folgen haben kann. Um die Diagnose und Behandlungsplanung zu erleichtern, wurde im Forschungsprojekt ARES (Aneurysm Risk Estimation Support) eine Software entwickelt. Diese innovative Lösung kombiniert geometrische und biomechanische Analysen, um das Rupturrisiko anhand zahlreicher Parameter präzise zu bewerten.
Inhalt
- ARES: Eine interdisziplinäre Lösung für die Aneurysma-Analyse
- Simulation von Blutfluss und biomechanischen Kräften
- Kennzahlen für die Risikoabschätzung
- Intuitive Visualisierung der Ergebnisse
- Validierung und Ausblick
- Referenzen
- Kontakt
- Autor
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ARES: Eine interdisziplinäre Lösung für die Aneurysma-Analyse
Bei der Planung der Behandlung von Gehirn-Aneurysmen ist es besonders schwierig, das Risiko einer Ruptur einzuschätzen. Um Ärzten eine fundiertere Entscheidungsgrundlage für die Behandlung eines Aneurysmas zu bieten, wurde im Rahmen des Forschungsprojekts ARES eine Software entwickelt. Diese liefert relevante geometrie- und blutflussbasierte Maßzahlen sowie entsprechende Risikointervalle, ähnlich einem Blut-Laborbefund. Das Tool bietet einen benutzerfreundlichen Workflow, der vom Import bildgebender Verfahren über die Modellgenerierung bis zur Berechnung und Visualisierung der Merkmale reicht. Im Projekt ARES sind die RISC Software GmbH, eulerian-solutions (Konsortialführung), die JKU Linz (Institut für Polymer Product Engineering – IPPE) und dem Neuromed-Campus der KUK beteiligt.

Abbildung 1: Ähnlich einem Blut-Laborbefund stellt ARES relevante geometrie- und blutflussbasierte Maßzahlen sowie zugehörige Risikointervalle zur Verfügung stellt. Das Tool bietet einen intuitiven Workflow vom Import der Aufnahmen von bildgebenden Verfahren über die Modellgenerierung bis hin zur Berechnung und Visualisierung der Merkmale.
Simulation von Blutfluss und biomechanischen Kräften
Zunächst wird das Aneurysma einschließlich zu- und abführenden Gefäßen aus den 3D-Bilddaten der/des Patient*in (DSA, MR oder CT) segmentiert, wobei das Volumen auf Voxelebene bearbeitet werden kann. Es werden Mediallinien des Blutlumens berechnet, auf denen Ein- und Ausflussflächen für die Simulation des Blutflusses platziert werden können, und der Aneurysmensack wird durch eine Grenzfläche vom Trägergefäß getrennt.
- Abbildung 2: Zuschneiden der relevanten Region in den 3D-Bilddaten.
- Abbildung 3: Definition von Ein- und Ausflüssen entlang des segmentierten Blutgefäßes.
- Abbildung 4: Definition des Aneurysmensacks (blau) auf dem finalen 3D-Modell.
Anschließend erfolgt eine automatische Analyse der Aneurysma-Geometrie sowie eine numerische Blutfluss-Simulation unter Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen Fluid und Struktur. Außerdem werden der Einfluss der auf die elastische Gefäßwand wirkenden Kräfte, die Spannungen und Durchbiegungen, die daraus resultieren, sowie die Verteilung von Druck und Geschwindigkeit im Blutgefäß berechnet. Die Materialmodelle und -parameter (Elastizitätsmodul), die dabei verwendet wurden, wurden in Experimenten mit Proben echter Gefäßwände bestimmt [1].
Kennzahlen für die Risikoabschätzung
In einer Rechenzeit von etwa 10 Minuten können über 60 geometrische, flussbasierte und strukturmechanische Merkmale gruppiert nach Aussagekraft in Tabellenform angezeigt werden. Die morphologischen Parameter werden je nach Komplexität in 1D-Indizes (z.B. maximaler Durchmesser, Höhe, Volumen), 2D-Indizes (z.B. das Verhältnis der Aneurysmengröße zum Durchmesser des Trägergefäßes (Size Ratio) oder das Seitenverhältnis bzw. Aspect Ratio), 3D-Indizes (Konvexität, Elliptizität, Nichtsphärizitäts-Index (NSI)) sowie Parameter basierend auf der Oberflächenkrümmung unterteilt. Zu den hämodynamischen (fluss-basierten) Merkmalen zählen Mittel- und Extremwerte von Blutdruck, Wandscherspannung (WSS) sowie oszillatorischen Scherindex (OSI). Bei den strukturmechanischen (elastizitätsbasierten) sind die Mises-Spannung sowie die Dehnung bzw. Durchbiegung von Bedeutung.
Intuitive Visualisierung der Ergebnisse
Alle Ergebnisse werden im Programm anschaulich dargestellt, sei es durch geometrische Abbildungen oder durch die Darstellung physikalischer Größen auf der Blutoberfläche.
- Abbildung 5: Durchbiegung der Aneurysmenwand. Der Pfeil markiert die Lage des Maximums, der Boxplot zeigt den Vergleich mit der Statistik aller untersuchten Aneurysmen.
- Abbildung 6: Grafische Darstellung der geometrischen Maßzahl Height-to-Width-Ratio (HWR).
- Abbildung 7: Visualisierung der Gaußschen Krümmung der Aneurysmenoberfläche.
- Abbildung 8: Visualisierung von Bereichen der Gefäßwand mit besonders hoher mechanischer Spannung (rot).
Validierung und Ausblick
An mehr als 400 Datensätzen wurden die Methoden getestet. Aus der Verteilung von rupturierten und stabilen Aneurysmen wurden Risiko-Grenzwerte sowie die relevantesten Maßzahlen für verschiedene Aneurysma-Lokationen bestimmt. Zusätzlich zu den aus der Literatur bekannten Größen wie der Norm der Gauß’schen Krümmung, NSI oder Size Ratio wiesen insbesondere neuartige kombinierte Kennzahlen, die geometrische und biomechanische Parameter vereinen, wie der HGD-Wert (eine Kombination aus Spannung, Krümmung und Durchbiegung), eine hohe statistische Signifikanz auf [2].
Je nach Wert der aktuellen Parameter im Verhältnis zu den entsprechenden Grenzwerten werden drei Risikostufen (gering, mittel, hoch) unterschieden und grafisch dargestellt (graue, gelbe bzw. rote Balken).
Ärzt*innen können mit dem von uns entwickelten Tool komplexe Merkmale von Aneurysmen basierend auf Geometrie und Biomechanik intuitiv und mit minimaler Interaktion berechnen – eine Aufgabe, die zuvor nur mit spezieller Software und Fachwissen in der numerischen Simulation möglich war. Damit sollen künftig in der klinischen Praxis die Diagnose von zerebralen Aneurysmen und die Beurteilung des Rupturrisikos verbessert oder unterstützt werden. Auch eine Fortführung des Projekts, die Einbeziehung weiterer Kennzahlen sowie eine Multi-Center-Studie zur Erweiterung der Datenbasis sind vorgesehen.
Abb. 9: Ein kleiner Ausschnitt aus der Menge der im Rahmen des Projekts untersuchten Aneurysmen (zu sehen sind die Gefäßwandmodelle) zeigt die hohe Variabilität der auftretenden Geometrien.
Referenzen
[1] Nagy, J., Maier, J., Miron, V., Fenz, W., Major, Z., Gruber, A., Gmeiner, M., 2023. Methods, Validation and Clinical Implementation of a Simulation Method of Cerebral Aneurysms. Journal of Biomedical Engineering and Biosciences 10, p. 10. https://doi.org/10.11159/jbeb.2023.003
[2] Nagy, J., Fenz, W., Thumfart, S., Maier, J., Major, Z., Stefanits, H., Gollwitzer, M., Oberndorfer, J., Stroh, N., Giretzlehner, M., Sonnberger, M., Gruber, A., Rauch, P.-R., Gmeiner, M., 2025. Fluid structure Interaction analysis for rupture risk assessment in patients with middle cerebral artery aneurysms. Scientific Reports, 15(1), p. 1965. https://doi.org/10.1038/s41598-024-85066-9
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Autor
DI Dr. Wolfgang Fenz
Senior Researcher & Developer