Physik-Simulationen in Millisekunden:
Neuronale Netze im Turbomodus
von DI Philipp Moser, PhD
Simulationen sind aus der modernen Forschung und Technik nicht mehr wegzudenken. Numerische Lösungsverfahren haben sich im Laufe der Jahrzehnte etabliert, jedoch geht ihre hohe Genauigkeit oft mit langen Rechenzeiten einher. Moderne Methoden der Künstlichen Intelligenz eröffnen vielversprechende Möglichkeiten, um präzise und rechenintensive physikalische Simulationen so zu beschleunigen, dass sie für Anwendungen zugänglich werden, die sowohl hohe Anforderungen an die Präzision als auch an die Rechenlaufzeit stellen – von der Fluiddynamik bis hin zur Medizin.
Inhalt
- Simulationen: Das Fundament moderner Forschung und Technik
- Künstliche Intelligenz als Performance-Booster
- Anwendung im FFG-Projekt nARvibrain
- Referenzen
- Autor
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Simulationen: Das Fundament moderner Forschung und Technik
Physikalische Simulationen sind von zentraler Bedeutung in vielen Ingenieur- und Naturwissenschaften, da sie es ermöglichen, das Verhalten komplexer Systeme präzise zu modellieren. Besonders hervorzuheben ist die Finite-Elemente-Methode (FEM), eine bewährte numerische Technik zur Lösung partieller Differentialgleichungen, die in Bereichen wie der Strukturmechanik, Strömungsmechanik und dem Elektromagnetismus breite Anwendung findet. Trotz ihrer hohen Genauigkeit sind diese Simulationen jedoch oft rechenintensiv und mit langen Berechnungszeiten verbunden. Genau hier kann Künstliche Intelligenz (KI) ansetzen: Sie bietet das Potenzial, physikalische Simulationen signifikant zu beschleunigen, ohne dabei die Genauigkeit maßgeblich zu beeinträchtigen.
Künstliche Intelligenz als Performance-Booster
Der vielversprechende Deep Surrogate Ansatz beruht darauf, ein tiefes, neuronales Netz als Ersatzmodell für eine numerische Simulationsmethode zu trainieren [1]. Dabei wird zunächst das Netzwerk mit einer großen, repräsentativen Menge an Simulationsdaten trainiert, die zuvor mit präzisen, aber zeitaufwändigen FEM-Simulatoren generiert wurden. Nach Abschluss des Trainings ist das neuronale Netz in der Lage, für beliebige Eingabedaten die Simulationsergebnisse in Millisekunden zu liefern, anstatt Sekunden bzw. Minuten mit einem numerischen Lösungsverfahren. Der besondere Vorteil von Ersatzmodellen liegt darin, dass das Netzwerk nur einmalig im Vorhinein trainiert werden muss. In der anschließenden Nutzung können Simulationsergebnisse in Echtzeit und mit hoher Präzision berechnet werden, was z.B. erhebliche Effizienzsteigerungen für simulationsgestützten Design-Optimierungen von aerodynamischen Bauteilen oder elektrischen Schaltkreisen ermöglichen.
Abbildung 1: Schema eines Ersatzmodells inklusive Erstellungs- und Anwendungsphase
Anwendung im FFG-Projekt nARvibrain
Eine konkrete Anwendung des Ersatzmodell-Ansatzes konnten wir im FFG-Projekt nARvibrain erfolgreich umsetzen. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Graz, Cortexplore GmbH und der FH JOANNEUM durchgeführt und nutzt die Transkranielle Magnetstimulation (TMS), um wichtige funktionelle Hirnareale eines Tumorpatienten präoperativ lokalisieren zu können. Dies dient als wichtige Information für den Chirurgen in der anschließenden Tumorentfernung [2]. Bei der TMS-Anwendung wird eine Spule an den Kopf des Patienten gehalten, um elektrische Ströme im Gehirn zu erzeugen, die gezielt bestimmte Hirnfunktionen unterdrücken oder stimulieren. Die präzise Positionierung und Ausrichtung der Spule am Kopf sind dabei entscheidend für die Wirksamkeit der Behandlung. Physikalische Simulationen der durch die TMS induzierten Ströme im Gehirn können genutzt werden, um die optimale Spulenpositionierung zu bestimmen.
Im Rahmen von nARvibrain wurde ein Ersatzmodell entwickelt, das in Echtzeit die optimale Spulenpositionierung für ein bestimmtes Zielareal im Gehirn vorhersagt.
Diese Informationen sollen dem Arzt über ein Augmented-Reality-System direkt angezeigt, und ihn bei der manuellen Spulenführung zu unterstützen. Durch diese Technologie soll die TMS-Behandlung individueller, effizienter und effektiver gestaltet werden. Der Ersatzmodell-Ansatz zur Optimierung der TMS-Spulenpositionierung wurde im renommierten Journal Nature Scientific Reports veröffentlicht [3].
Abbildung 2: (link) Schematischer Ablauf einer TMS-Behandlung, (rechts) Vergleich der Vorhersagen der Ersatzmodell-basierten Spulenoptimierung und der FEM-basierten Referenzoptimierung aus Ref. [3].
Referenzen
[1] Pestourie, R., et al. Physics-enhanced deep surrogates for partial differential equations. Nat Mach Intell 5, 1458–1465 (2023). https://doi.org/10.1038/s42256-023-00761-y
[2] https://www.risc-software.at/referenzprojekte/narvibrain/
[3] Moser, P., et al. Real-time estimation of the optimal coil placement in transcranial magnetic stimulation using multi-task deep learning. Sci Rep 14, 19361 (2024). https://doi.org/10.1038/s41598-024-70367-w
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Autor
DI Philipp Moser, PhD
Researcher & Developer