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Stabiles Stromnetz durch Planung und Optimierung

Metaheuristiken für die kurzfristige operative Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme

von Ionela Knospe, PhD

Die Elektrifizierung wird oft als die technische Errungenschaft angesehen, die unser Leben am meisten verändert hat. Für die jüngeren Generationen in vielen Teilen der Welt ist die Nutzung elektrischer Energie eine Selbstverständlichkeit und sie können sich ihr Leben ohne sie nicht vorstellen. Aber welche Kraftwerke müssen im Laufe eines Tages eingesetzt werden, sodass zu jedem Zeitpunkt die Last in einem Stromnetz gedeckt ist und dessen Gesamtbetriebskosten minimal sind? Wie wird in der operativen Betriebsplanung die Ungenauigkeit der Prognose für erneuerbare Energiequellen und den Energieverbrauch berücksichtigt? Wie soll bestmöglich der Lade- und Entlade-Zyklus der Energiespeichersysteme im Stromnetz mit dem aktuellen Marktpreis für den Strom koordiniert werden? Diese Fragen sind ein Teil der täglichen operativen Betriebsplanung eines Stromversorgungssystems.

Inhalt

  • Kurzfristige Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme
  • Tabu Suche für die kurzfristige Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme
  • Fazit
  • Referenzen
  • Autorin
Data network

Der Trend zu sauberen und erneuerbaren Energiequellen, wie Wind- und Solarenergie, erfordert von den Stromversorgungssystemen eine verstärkte Integration von Energiespeichersystemen und flexiblen Lasten. Die langfristige Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme befasst sich mit dem Ausbau der Übertragungskapazitäten und der Bereitstellung zusätzlicher Kapazitäten. Sie erforscht intensiv die großen Transformationen, die das Energiesystem durchlaufen muss, um bis 2050 null Netto-CO2-Emissionen zu erreichen. Die kurzfristige Betriebsplanung von Stromsystemen hat einen Planungshorizont von wenigen Tagen bis Stunden und befasst sich mit Formulierungen des Unit Commitment Problems (UCP), des Optimal Power Flow (OPF) und der Day-Ahead- und Intraday-Märkte. Bei dieser Planung treffen Data Science, Optimierung und Simulation auf wunderbare Weise zusammen, um einen optimalen operativen Betriebsplan zu erstellen. Die Methoden, die in der Optimierung verwendet werden, sind sowohl exakte Methoden als auch Metaheuristiken und hybride Verfahren. Metaheuristiken sind Algorithmen zur näherungsweisen Lösung von Optimierungsproblemen. Sie haben sich als gut geeignet erwiesen, um komplexe und schwer lösbare konkrete Problemstellungen zu lösen.

Electricity network

Kurzfristige Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme

UCP- und OPF-Problemstellungen

Das Unit Commitment Problem (UCP) und das Optimal Power Flow (OPF) gehören zu den wichtigsten und kritischsten Problemen in der Energiewirtschaft. Das UCP-Problem wird bereits seit den 1940er Jahren ausgiebig erforscht und ist aufgrund der möglichen Betriebskosteneinsparungen immer noch Gegenstand aktiver Forschung. Das OPF-Problem wurde 1962 als eine Erweiterung des Problems der optimalen wirtschaftlichen Einteilung in traditionellen Stromversorgungssystemen eingeführt, indem Gleichungen für den elektrischen Leistungsfluss einbezogen wurden. Es gibt umfangreiche Literatur sowohl über deterministische und stochastische UCP-Formulierungen als auch über OPF-Methoden. Wir weisen hier auf [1] und [3] und die darin enthaltenen Referenzen hin. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Standardformulierungen der beiden Probleme gegeben.

UCP befasst sich mit der optimalen Planung der Stromerzeugung programmierbarer Generatoren im Stromnetz, um die prognostizierte Stromnachfrage zu decken. Die Planung erfolgt unter Berücksichtigung einer Reihe physikalischer und technischer Restriktionen der Erzeuger (minimale/maximale Leistung, maximale Leistungserhöhung und -reduktion, Anfahrkosten und Abschaltkosten). In der Regel ist das Ziel die Minimierung der Gesamtbetriebskosten, aber auch zusätzliche Ziele wie minimale CO2-Emissionen können berücksichtigt werden. Die Lösung des UCP-Problems enthält für jede Erzeugungseinheit und jeden Zeitschritt des Planungshorizonts einen Ein-/Aus-Zustand – d.h. die Entscheidung über den Einsatz der Erzeugungseinheiten und zusätzlich die Leistung. Es gibt verschiedene mathematische Formulierungen des UCP, je nachdem, wie die Übertragungs- und Betriebsrestriktionen der Systeme berücksichtigt werden. Diese Formulierungen führen natürlich zu unterschiedlicher Rechenkomplexität.

OPF befasst sich für einen Zeitschritt im Planungshorizont mit der optimalen Planung der eingesetzten Erzeugungseinheiten, unter Einhaltung zulässiger Leistungsflüsse. Das Modell der AC-Lastflussrechnung (AC-OPF) ist das präziseste für die Modellierung der physikalischen Leistungsflüsse im gesamten Netz, da es Leitungsverluste, Netzparameter sowie Wirk- und Blindleistung berücksichtigt. Es handelt sich hier um ein nichtlineares, nicht-konvexes Problem, das schwer zu lösen ist. Die vereinfachte Form der Lastflussrechnung (DC-OPF) ist eine Annäherung an die AC-OPF, die die Leistungsflüsse in einer linearisierten Form betrachtet, nur die Wirkleistung und keine Leitungsverluste berücksichtigt. Die DC-OPF ist somit konvex und falls die Zielfunktion linear ist, ein lineares Optimierungsproblem, das mit einem kommerziellen oder freien Löser effizient gelöst werden kann.

Mit der zunehmenden Präsenz erneuerbarer Energiequellen in Stromnetzen erhielten auch UCP und OPF eine erhöhte Aufmerksamkeit, um unter anderem die Unsicherheitsfaktoren, welche durch die intermittierende Natur erneuerbarer Energien entstehen, zu erfassen.

Lösungsansätze für die kurzfristige Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme

Wenn das Stromnetz mit dem vollständigen Wechselstrommodell in UCP dargestellt wird, dann beinhaltet UCP bereits die OPF-Problemstellung. Wie bereits erwähnt, ist sie selbst nicht konvex und nicht linear, und daher sehr schwierig zu lösen. Darüber hinaus befassen sich typische reale Anwendungen von UCP mit großen Stromsystemen – in Bezug auf die Anzahl der Erzeuger und die Größe des Übertragungsnetzes -, was die Komplexität der UCP-Problemstellung weiter erhöht. Für die kurzfristige Betriebsplanung von Stromversorgungssystemen wird daher UCP häufig ohne die physikalischen Restriktionen der Übertragungsleitungen oder nur in linearisierter Form gelöst. OPF wird dann in diesem Fall in einem zweiten Schritt gelöst.

Formulierungen von UCP als gemischt-ganzzahlige lineare Programmierung (MILP) haben im Laufe der Zeit erheblich an Bedeutung gewonnen. Der Grund dafür sind die dramatischen Verbesserungen der Leistung kommerzieller und kostenloser MILP-Löser. Diese Formulierungen haben den Vorteil, dass sie optimale Lösungen generieren, wenn diese gefunden werden. Eine Schwäche, trotz der erreichten Fortschritte, liegt bei großen Probleminstanzen noch in der benötigten Rechenzeit.

Data

Neben exakten Methoden werden auch Metaheuristiken und hybride und iterative Lösungsverfahren für die Lösung großer Optimierungsprobleme im Bereich der Strom- und Energiesysteme eingesetzt. Genetische Algorithmen, Particle Swarm Optimization, evolutionäre Algorithmen, aber auch Tabu-Search und Simulated Annealing (siehe Wikipedia-Artikel zu Metaheuristik) sind die am häufigsten verwendeten Metaheuristiken in diesem Bereich. Um die Leistung des Algorithmus zu verbessern, müssen sie oft um problemspezifische Operatoren ergänzt werden. In den letzten Jahren hat das Forschungsinteresse an der Integration von maschinellem Lernen in Metaheuristiken stark zugenommen. Diese Kombination wird in verschiedenen Bereichen untersucht, wie Algorithmenauswahl, Initialisierung, Evolution oder Parametereinstellung. Daher ist es von Interesse, ob die Kombination von maschinellem Lernen mit Metaheuristiken auch zu neuen Lösungsansätzen für die kurzfristige Betriebsplanung von Stromversorgungssystemen führen könnte.

Tabu Suche für die kurzfristige Betriebsplanung der Stromversorgungssysteme

Tabu-Suche ist ein iteratives metaheuristisches Verfahren zur Lösung oder Annäherung kombinatorischer Optimierungsprobleme, die lokale Suchmethoden verwendet. Diese lokalen Suchmethoden untersuchen den Lösungsraum, indem sie von einer möglichen Lösung zu einer verbesserten Lösung in ihrer Nachbarschaft wechseln. Die Suche endet, wenn ein Stoppkriterium erfüllt ist (z.B. ein Versuchslimit oder ein Schwellenwert der Bewertung). In den meisten Fällen aber ohne Garantie der Lösungsqualität. Lokale Suchmethoden neigen dazu, in suboptimalen Regionen oder Plateaus hängenzubleiben, wo keine verbesserten Nachbarn verfügbar sind. Um dies zu vermeiden, verwendet die Tabu-Suche eine Speicherstruktur, die den Algorithmus dazu zwingt, neue Bereiche des Suchraums zu untersuchen. Die bereits besuchten Lösungen werden für eine bestimmte Dauer dorthin gespeichert, d.h. als verboten oder „tabu“ markiert (vgl. dazu Wikipedia-Artikel zu Tabu-Suche).

In einem aktuellen Forschungsprojekt hat die RISC Software GmbH die Anwendung der Tabu-Suche mit einem adaptivem Nachbarschaftsoperator-Selektor für die kurzfristige Betriebsplanung von Stromversorgungssystemen untersucht und für vielversprechend befunden ([4]). Der betrachtete Planungshorizont umfasst einen Tag mit einer Zeitauflösung von 15 Minuten – beide Zeitrahmen sind skalierbar. Stromsysteme mit den folgenden Komponenten und technischen Details wurden analysiert:

  • Programmierbare Erzeuger: minimale und maximale Wirkleistung, Mindestzeitspannen für Erzeugungsphasen und Ruhephasen, maximale Leistungserhöhung und -reduktion, maximale Reservegrenze, Erzeugungskosten, Anfahrkosten, Abschaltkosten und Reservekosten;
  • Energiespeichersysteme: maximale Kapazität, minimale und maximale Lade- und Entladeleistung, minimale Lade- und Entladezeit, Lade- und Entladeeffizienzfaktoren, Ladezustand;
  • Photovoltaik: installierte Kapazität pro Einheit;
  • Lasten: Stromverbrauch;
  • Übertragungsleitungen: Blindwiderstand, maximaler Leistungsfluss und Übersetzungsverhältnis, wenn die Übertragungsleitung ein Transformator ist; sie werden durch DC-Leistungsflüsse modelliert.

Zusätzlich zu diesen Komponenten sind im Optimierungsmodell zwei Parameter enthalten, Seamless Index und Reservefaktor, welche die Autarkie des Systems ansprechen und steuern (siehe auch [2]).

Die Last und die Photovoltaik-Erzeugung werden durch Prognosemodelle bereitgestellt, deren Datenbasis aus realen Datensätzen und historischen Daten besteht. Die Prognosemodelle basieren auf nicht linearer Regression wie Gradient Boosting unter Verwendung modernster Wolkenmodelle und zusätzlicher Funktionen von Wettervorhersageanbietern.

Energiespeicherarbitrage ist eine Technik, bei der Strom gekauft und gespeichert wird, wenn die Netzstrompreise am günstigsten sind und in den Spitzenzeiten genutzt wird, wenn die Netzstrompreise am höchsten sind. Für alle Energiespeichersysteme im Stromnetz ist die verwendete Planungsstrategie Arbitrage zu erreichen.

Der vorgeschlagene Lösungsansatz für die Day-Ahead-Betriebsplanung von Stromsystemen mit den oben definierten Komponenten basiert auf der Tabu-Suche mit adaptivem Nachbarschaftsoperator-Selektor. Es handelt sich um einen hierarchischen Ansatz, bei dem die Erzeugung einer Lösung drei Schritte umfasst:

  • Zuordnung des Ein-/Aus-Zustandes für die programmierbaren Erzeuger und Energiespeicher über den gesamten Planungshorizont;
  • Einplanung der Energiespeichersysteme über den gesamten Planungshorizont;
  • Lösen von DC-OPF für jeden Zeitschritt des Planungshorizonts.

Die Teilprobleme im zweiten und dritten Schritt sind lineare Programme (LP), die zum Beispiel mit einem open-source LP-Löser und der Optimierungssuite OR-Tools von Google gelöst werden können. Die Tabu-Suche verwendet Nachbarschaftsoperatoren, die auf die aktuelle Problemformulierung zugeschnitten sind. Den Nachbarschaftsoperatoren werden Punkte basierend auf ihrer Leistung zugewiesen, die durch die Verringerung der Zielfunktion gemessen wird. Diese Punktezuweisung hat ein Fading Memory, d.h. je länger ein Erfolg zurückliegt, desto weniger Punkte liefert er für die aktuelle Bewertung. Zusammenfassend kann dieser Ansatz als ein hybrider Ansatz angesehen werden, der eine Kombination aus score-basierter, durchschnittlicher und extremwertbasierter Punktezuweisung darstellt.

Dieser Lösungsansatz für die Day-Ahead-Betriebsplanung von Stromnetzen liefert akzeptable Lösungen in angemessener Rechenzeit. Obwohl nicht unbedingt optimal, stellen sie für große Stromnetze eine wertvolle Alternative zur äquivalenten Formulierung als gemischtes ganzzahliges lineares Programm (MILP) dar, insbesondere wenn kostenlose oder open-source MILP-Löser verwendet werden. Die Komponenten und technischen Details des Stromnetzes können bei diesem Ansatz leicht erweitert werden, z.B. mit anderen erneuerbaren Energiequellen wie Windparks oder mit flexiblen Lasten. Die Verwendung von metaheuristischen Lösungen für die Planung könnte daher potenziell verschiedene Anwendungen finden, etwa bei der Planung von Mikronetzen oder Energiegemeinschaften.

Fazit

Der Energiesektor steht derzeit vor großen Umwälzungen, die sich sowohl in der langfristigen als auch in der kurzfristigen Planung von Energiesystemen widerspiegeln. Für die Methoden, die in der Optimierungsprobleme in diesen Bereichen eingesetzt werden, wird derzeit an der Möglichkeit geforscht, Techniken des maschinellen Lernens zu integrieren. Kombinieren Metaheuristiken und Lerntechniken zielt darauf ab, verbesserte Lösungsqualität mit geringeren Rechenzeiten zu erreichen. Zwar sind die erzielten Fortschritte in dieser Richtung sehr vielversprechend, aber es gibt noch viele weitere Möglichkeiten zu erkunden, welche zu effizienteren Wegen führen könnten, um die Optimierungsprobleme im Energiesektor anzugehen. Es bleibt daher spannend, welche Innovationen in diesen Bereichen in den nächsten Jahren noch kommen werden!

Referenzen

[1] Abdou, I., Tkiouat, M.: Unit Commitment Problem in Electrical Power System: A Literature Review, International Journal of Electrical and Computer Engineering (IJECE) 8 (3), 1357-1372 (2018).

[2] Hosseinnezhad, V., Rafiee, M., Ahmadian, M., Siano, P.: Optimal day-ahead operational planning of microgrids. Energy Conv. Manag. 126, 142-157 (2016).

[3] Khan, B., Singh, P.: Optimal Power Flow Techniques under Characterization of Conventional and Renewable Energy Sources: A Comprehensive Analysis, Journal of Engineering (2017).

[4] Knospe, I., Stainko, R., Gattinger, A., Bögl, M., Rafetseder, K., Falkner, D.: A Tabu Search Approach to the Short-Term Operational Planning of Power Systems, Proceedings International Conference on Operations Research 2022, (akzeptiert).

Kontakt









    Autorin

    Ionela Knospe, PhD

    Mathematical Optimization Engineer